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Panorama-Aufnahme Wegberg mit Burg Wegberg, Forum, Wegberger Mühle, Rathaus und Pfarrkirche St. Peter & Paul, Foto: Heinen
Mundart in der wissenschaftlichen Erforschung
Die Mitarbeit am Citizen Science Project des
Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas
Die Arbeitsgruppe Mundart innerhalb des Historischen Vereins hat es sich zum Ziel gesetzt, das Kulturgut "Platt" zu pflegen und aufzuwerten.
Ausgehend von den seit über 20 Jahren monatlich stattfindenden Mundart-Abenden haben sich im Laufe der Zeit weitere Aktivitäten entwickelt. Schon seit längerem unterhalten wir Kontakte zum LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, zum Germanistischen Institut an der Universität Bonn und aktuell zum Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas an der Universität Marburg.
Vorwort zur Entwicklung des Projekts
Spätestens seit 2020 war ich auf der Suche nach geeigneten Texten, um bestimmte Unterschiede im Wegberger Platt vergleichend erfassen zu können. Diese waren mir bei Vorträgen in der Klängerstu'ef, dem Mundart-Abend des Historischen Vereins aufgefallen. Ich vermutete einen Zusammenhang mit der bis 1820 bestehenden Grenze mitten durch Wegberg: Ein Teil gehörte zum Herzogtum Jülich, der andere zum Herzogtum Geldern. > siehe den Beitrag "..." Auch Karl Bertrams, unser im Dezember 2022 verstorbene Mundart-Experte, hatte diese Vermutung schon des öfteren vorgetragen.
Jeder, der sich mal mit dem Thema Sprache und Mundart beschäftigt hat, hat schon von der "Benrather Linie" gehört. Die wenigsten kennen allerdings ihren "Entdecker", den Dialektologen Georg Wenker. Im späten 19. Jahrhundert erhob er in zwei Durchgängen erst Daten zu Dialekten im Rheinland, dann im gesamten Deutschen Reich. Sein wissenschaftlicher Standard war so hoch, dass die moderne Sprachwissenschaft heute noch von diesen Daten profitiert. Auf diese Forschung mit seinen "Wenker-Sätzen" wurde ich bei meiner Suche aufmerksam. Diese lagen allerdings lange verschlossen in Archiven und wurden erst kürzlich digitalisiert.
Im März 2022 ging die Marburger Wenkerbögen-App online und wurde so jetzt auch allen Interessierten zugänglich gemacht. Dies wurde mir durch Kontakte zum LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte und zum Germanististen Institut an der Uni Bonn bekannt. Gänzlich faszinierte mich das Thema "Wenker-Forschung", als ich auf dem Wenkerbogen meines Heimat-Ortes den Namen des bearbeitenden Lehrers entdeckte: mein Urgroßvaters Benedict Heinen.
Durch Kontakt zum Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas an der Uni Marburg wurde ich auf ein Citizen Science Projekt aufmerksam, das schon früh als App an der Uni Zürich entwickelt worden war. Beim Entwurf der Nutzeroberfläche wurde auf Einfachheit geachtet., um auch interessierten Laien einen Zugang für ihre Mitarbeit zu ermöglichen.
Hierzu antwortete Frau Prof. Dr. Hanna Fischer in einem Interview auf die Frage:
"Was empfehlen Sie jemandem, der aus persönlichem Interesse für die Sprache seiner Region nach Informationen sucht? ..."
Wer sich für den Dialekt seines Heimatortes interessiert, findet auf der Forschungsplattform www.regionalsprache.de umfangreiche Informationen, z. B. Sprachkarten und Sprachaufnahmen. Alle Daten sind über einen kartenbasierten Zugriff zugänglich. Man kann sich also zum Beispiel „durch den Raum hören“ oder „durch dialektale Landschaften spazieren gehen“. Unser YouTube-Channel „REDE SprachGIS: kurz&kartig“ hilft beim Einstieg in das sprachgeographische Informationssystem und erklärt die wichtigsten Schritte.
Hier können Sie das vollständige Interview lesen.
Weitere Punkte:
Kurrentschrift nicht maschinen lesbar
Impuls bei Vortrag Verena Krautwald
Idee zu einer Arbeitsgruppe
spontane Transliterierung Dietmar Schmitz
zunächst Stadt Wegberg
dann damalige Kreise
heatmap DSA
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TEXT: Ein Jahr Wenkerbogen-App
Im Sommer 2019 las ich in der NZZ und hörte am Radio über das Citizen Science Projekt der Uni Zürich. Neugierig suchte ich den Wenker-Bogen meiner Heimatstadt Luzern – und war verblüfft: das sah ja wild aus mit vielen Sonderzeichen und Akzenten! Das reizte mich. Nach dem Mathe-Studium hatte ich mich nie «richtig» mit Sprache - geschweige denn mit Linguistik – beschäftigt. Ich fand es spannend, viele mit Kurrentschrift ausgefüllte Bögen zu transkribieren. Weil immer die gleichen Sätze übersetzt waren, lernte ich die Schrift leichter zu entziffern.
Annemarie Fellmann
Die Marburger Wenkerbögen-App
Die Wenkerbögen-App des Deutschen Sprachatlas entstand aus einem Nebenprojekt heraus, nachdem Herr Professor Schmidt, der damalige Leiter des Sprachatlas, auf der IGDD-Tagung 2018 von dem Schweizer Citizen-Science-Projekt gehört hat und von der Idee sehr begeistert war. Es stellte sich schnell heraus, dass dieses Projekt mehr als nur ein Nebenschauplatz ist, und eine Arbeitsgruppe bildete sich, um den Aufbau und Umfang der Anwendung zu definieren. Die Applikation sollte neben dem Citizen-Science-Aspekt auch als Katalog und Sammelstelle für die Wenkerbögen und Transliterationen dienen, die im Laufe der Jahre im Haus entstanden sind. Letztlich sollte es den bisherigen Wenkerbögen-Katalog der REDE Plattform ersetzen. Maria Luisa Krapp, damals studentische Hilfskraft bei Professor Cysouw, sammelte ein initiales Datenset von ca. 1500 transliterierten Wenkerbögen und bereitete diese für einen Import vor. Diese Bögen dienten als Datengrundlage für die Entwicklung.
Technisch ist die Wenkerbögen-App von dem ursprünglichen für das Schweizer Citzen-Science-Projekt entwickelten Applikation inspiriert. Als Grundframeworks wurde sich für Vue für die Nutzeroberfläche, FastAPI als REST-Server sowie IIIF-Standard für die Bereitstellung der Bögen und PostgreSQL als Datenbank entschieden. Gerade Vue und FastAPI als Interface respektive Serverframework erlauben eine schnelle und sichere Entwicklung von sogenannten “Single Page Apps” (SPA). Vue generiert die Webseiten aus dem Javascript-Code und kann die benötigten Daten über die REST-Schnittstelle des FastAPI-Servers laden. Vue basiert auf dem sogenannten “Observer Pattern”, was automatisch Änderungen an den Daten an die Benutzeroberfläche weitergibt. Das ermöglicht eine einfache Entwicklung von dynamischen Webanwendungen.
Die Bögen stehen außerdem, ganz im Sinne von OpenAccess, in einem frei zugänglichen Repositorium. Sämtliche Transliterationen werden automatisch mit einem GitHub-Repostorium synchronisiert, die dort abgelegt Daten sind maschinenlesbar und sämtliche Änderungen lassen sich nachverfolgen.
Beim Entwurf der Nutzeroberfläche ging es vorrangig um Einfachheit. Der Zugang sollte niederschwellig gehalten werden, um ein breitgefächertes Publikum ansprechen zu können. So ist die einfachste Art einen Bogen zu finden, einfach in der Karte in die Region, die man sucht, zu zoomen. Die Auswahl der Bögen passt sich dynamisch an den Kartenausschnitt an.
Neben dem dynamischen Zoom lassen sich natürlich auch noch nach Ortsnamen, Bogennummer und einer Volltextsuche über die Metadatenfelder nach Bögen suchen. Eine Filterfunktion erlaubt es die Bögen nach bestimmten Sprachen zu filtern. Diese Funktionen sollen ein effektives Suchen nach den Bögen ermöglichen und als ein Ersatz für den bisherigen Wenkerbogen-Katalog dienen. Ein Bogen lässt sich mittels Klick auf das entsprechende Symbol öffnen. Bögen, für die bereits eine Transliteration vorliegt, unterscheiden sich optisch von den übrigen.
Die Wenkerbogen-Anzeige zeigt auf der linken Seite den Wenkerbogen und auf der rechten Seite die Metadaten und bereits erstellte Transliterationen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Bogen als PDF und die Transliterationen in verschiedenen Formaten, inklusive Excel, herunterzuladen. Der Bogen wird nicht als statisches Bild geladen, sondern über den IIIF-Server in sogenannte “Tiles” aufgeteilt, die dynamisch je nach Ausschnitt oder Zoomstufe geladen werden. So muss nicht das gesamte Bild auf einmal geladen werden und man kann trotzdem so weit wie möglich hineinzoomen, wie es die ursprüngliche Auflösung hergibt. Diese Technik ermöglicht es, hochauflösende Bilder, die teilweise deutlich über 1 Gigabyte groß sein können, schnell im Netz zu präsentieren. Aus der Wenkerbogen-Anzeige kann man über “Neue Transliteration” den Wenkerbogen-Editor starten.
Der Transliterations-Editor hat eine von Oben-nach-Unten Ansicht. Vom eigentlichen Wenkerbogen wird nur noch ein Ausschnitt angezeigt. Der Ausschnitt ist auf den aktuellen Satz fokussiert und passt sich je nach Satz automatisch an2. Direkt unter dem Wenkerbogenausschnitt befindet sich das Eingabefeld, inklusive Anzeige, um welchen Satz es sich handelt und die Möglichkeit zum nächsten oder vorherigen Satz zu wechseln. Ein Schieberegler ermöglicht zudem schnell zu einem gewünschten Satz zu springen.
Ein Problem bei der Transliteration sind Anmerkungen oder Korrekturen, die damals direkt in den Bögen selbst vorgenommen wurden und Sonderzeichen. Der Editor bietet Shortcuts an, um schnell Unsicherheiten oder Anmerkungen zu markieren. Für die Art der Kennzeichnung nutzt der Editor spezielle Klammern, damit sie bei einer Analyse der Sätze automatisch verarbeitet oder herausgefiltert werden können. Außerdem bietet der Editor eine Auswahl besondere Schriftzeichen oder Diakritka, die in den Bögen vorkommen können, damit soll sichergestellt werden, dass auch die richtigen Unicode-Symbole verwendet werden. Die Auswahl der Zeichen erfolgt dem bisherigen Wissensstand, lässt sich aber leicht erweitern, sollten bisher nicht abgedeckte Zeichen in den Bögen auftauchen. Da die meisten Wenkerbögen in Kurrentschrift verfasst sind, bieten wir als Hilfestellung an, sich den Satz oder einzelne Zeichen in Kurrent anzeigen zu lassen.
Nachdem der:die Nutzer:in ihre Sätze eingeben hat, müssen sie noch abgespeichert werden. Bevor die Sätze dann in der Datenbank landen, gibt es noch einmal die Möglichkeit die Sätze zu kontrollieren. Sämtliche gespeicherte Sätze werden außerdem in das GitHub-Repositorium hochgeladen, und stehen damit frei für jeden Interessierten zur Verfügung.
Wir wollen den Nutzer:innen die Möglichkeit geben, ihre Bögen zu einem späteren Zeitpunkt weiter zu bearbeiten. Leider können wir aus Zeitgründen bisher kein vollständiges Nutzermanagement anbieten. Stattdessen bieten wir eine vereinfachte Option an, die ganz ohne Anmeldung auskommt aber Anonymität gewährleistet. Diese Option ist völlig optional und der:die Nutzer:in muss explizit zustimmen, diese nutzen zu wollen: In der Wenkerbogen-App kann man optional ein zufällig generiertes Token, eine sogenannte UUID erzeugen, welches lokal auf dem Rechner als Cookie gespeichert wird und beim Absenden einer Transliteration oder bei der Anfrage nach den eigenen Transliterationen mitgesendet wird. 3 Der Nutzer kann seine eigenen Bögen anhand dieses Tokens bestimmen, aber wir können nicht aufgrund dieses Tokens den Nutzer rückverfolgen. Zudem müssen keine persönlichen Daten angegeben werden. Eine Einschränkung ist allerdings, dass diese Identifikation browsergebunden ist und wenn man dieses Token verliert, lassen sich die damit erstellen Bögen nicht mehr bearbeiten.
Die Wenkerbögen-App ist Ende März 2022 live gegangen und bietet inzwischen über 100000 transliterierte Sätze an. Immer wieder tauchen neue UUIDs auf oder Transliterationen in neuen Regionen, was zeigt, dass sich die Anwendung für den:die interessierte:n Nutzer:in etabliert hat. Frau Fellmann, die das Wenkerbögen-Transliterations-Projekt bereits seit den Schweizer Tagen begleitet und als stetige Nutzerin der Anwendung viel zur Entwicklung und Verbesserung beigetragen hat, schreibt zu ihrer Motivation:
Die 40 Wenker-Sätze und die Entdeckung der Rückseiten mit den Angaben zu den an der Übersetzung Beteiligten und deren Dialekt halfen mir durch die Corona-Zeit. Aber es wurde noch besser, als an der Uni Marburg ein neues Tool zur Verfügung gestellt wurde. Dieses erlaubt, dass man alles anschauen und die selber transkribierten Sätze jederzeit verbessern kann.
Die Beschäftigung mit den Wenker-Sätzen ist für mich dank des kurzen Drahtes zum IT-Techniker Robert Engsterhold und vor allem der lehr- und hilfreichen Kontakte zu Frau Prof. Elvira Glaser so bereichernd.
Die Anwendung ist bewusst einfach gehalten, um zum einen nicht Opfer des sogenannten "Feature Creep" zu werden und die Einstiegshürde für neue Nutzer gering zu halten. Dennoch haben sich durch Feedback über das Jahr hinweg ein paar Baustellen zur Verbesserung herauskristallisiert. So sollte zum einen das Speichern der Transliterationen einfacher bzw. offensichtlicher gestaltet werden und Nutzer:innen sollten einfacher ihre eigenen Arbeiten angezeigt bekommen und wiederfinden können. Auch sind Verbesserungen im Sinne der Accessibility der Webseite geplant, da ein Gros der Nutzer älter ist, ist es wichtig, besser auf mögliche Sehschwächen, die oft mit dem Alter eintreten, einzugehen. So sollten sich die Symbole optisch deutlicher voneinander abheben und gezielte wichtige Textblöcke sollten vergrößerbar oder kontraststärker sein. Eine Herausforderung, die uns bei der Entwicklung der Wenkerbögen-App noch bevorsteht, ist eine angemessene Eingabemaske für die Vorderseite der Wenkerbögen zu bauen, ohne dabei das Prinzip der Einfachheit zu verletzen. Während die Wenkersätze als einfache Liste mit 38-42 Einträgen erfasst werden können, ist die Vorderseite deutlich komplizierter aufgebaut. So unterscheiden sich unter anderem die Inhalt je nach Bogentyp leicht, wodurch verschiedenen Masken benötigt werden.
Wir hoffen, dieses Jahr noch einen ersten Entwurf für die Vorderseiten-Maske online stellen zu können und so den interessierten Citizen Scientists weitere Herausforderungen zum Transliterieren bieten zu können.
Literatur:
Fleischer, Jürg. (2014). Das flektierte prädikative Adjektiv und Partizip in den Wenker-Materialien. In Dominique Huck (ed.), Alemannische Dialektologie: Dialekte im Kontakt. Beiträge zur 17. Arbeitstagung für alemannische Dialektologie, 147–168. Stuttgart: Steiner.
Fleischer, Jürg (2017): Geschichte, Anlage und Durchführung der Fragebogen-Erhebungen von Georg Wenkers 40 Sätzen. Dokumentation, Entdeckungen und Neubewertungen. Hildesheim: Olms.
Friedli, Matthias (2012): Der Komparativanschluss im Schweizerdeutschen: Arealität, Variation und Wandel. Diss. UZH 2008. Zürich 2012. https://opac.nebis.ch/ediss/20121543.pdf
Kakhro, Nadja (2005): Die Schweizer Wenkersätze, in: Christen, Helen (Hg.): Dialektologie an der Jahrtausendwende (= Linguistik online 24,3), 155–169.
Lameli, Alfred, Elvira Glaser, Philipp Stoeckle (2020): Drawing areal information from a corpus of noisy dialect data, Journal of Linguistic Geography 8, 31-48. https://doi.org/10.1017/jlg.2020.4
Raggenbass, Carmen (2018): “E® törid nüd derig è Goofestöckli triibe.” Eine Analyse der Wenkermaterialien aus den beiden Appenzeller Halbkantonen. MA-Arbeit Universität Zürich.
Sprachatlas der deutschen Schweiz. Herausgegeben von Rudolf Hotzenköcherle, fortgeführt und abgeschlossen von Robert Schläpfer, Rudolf Trüb, Paul Zinsli. 8 Bände. Bern/Basel 1962–1997.
Diesen Beitrag zitieren als:
Robert Engsterhold & Elvira Glaser. 2023. Ein Jahr Wenkerbögen-App. In: Sprachspuren: Berichte aus dem Deutschen Sprachatlas 3(5). https://doi.org/10.57712/2023-05
Robert Engsterhold und Elvira Glaser
Historischer Verein Wegberg e.V. - 09.09.2021 - Letzte Änderung: 19.11.2023