Historischer Verein Wegberg e.V.

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Panorama-Aufnahme Wegberg mit Burg Wegberg, Forum, Wegberger Mühle, Rathaus und Pfarrkirche St. Peter & Paul, Foto: Heinen
Mundart in der wissenschaftlichen Erforschung
Das Projekt Regionalsprache.de REDE des
Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas
Die Arbeitsgruppe Mundart innerhalb des Historischen Vereins hat es sich zum Ziel gesetzt, das Kulturgut "Platt" zu pflegen und aufzuwerten.
Ausgehend von den seit über 20 Jahren monatlich stattfindenden Mundart-Abenden haben sich im Laufe der Zeit weitere Aktivitäten entwickelt. Schon seit längerem unterhalten wir Kontakte zum LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, zum Germanistischen Institut an der Universität Bonn und aktuell zum Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas an der Universität Marburg.
Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas, Universität Marburg


Zentrale Aufgabe des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas ist die Erforschung der Dialekte, Substandardvarietäten und Regionalsprachen der deutschen Sprache. Für diese Aufgabe bietet das Institut der „scientific community“ umfassende Forschungsmöglichkeiten. Hierzu gehören umfangreiche, zum größeren Teil einmalige Sammlungen und  Dokumentationen (Forschungsmaterialien), eine Spezialbibliothek, linguistische Sprachdatenerhebungs- und Analyseeinrichtungen und ein sprachgeographisches Computerlabor.


Recherche- und Dokumentationszentrum Regionalsprache
Das Recherche- und Dokumentationszentrum Regionalsprache versteht sich als zentrales Dienstleistungszentrum für alle WissenschaftlerInnen und interessierten Laien, die sich mit dem Forschungsspektrum des Deutschen Sprachatlas beschäftigen.
In inhaltlicher und räumlicher Nähe beherbergt es umfangreiche  Archivbestände, weltweit einmaliges Sprachkarten- und Sprachatlantenmaterial, eine systematisch erschlossene  Forschungsbibliothek sowie audiovisuelle Dokumente.

Literatur zu Regionalsprachenforschung und Wissenschaftsgeschichte
Die Spezial-Bibliothek umfasst circa 38.000 Bände zur Regionalsprachenforschung und Wissenschaftsgeschichte. Die systematisch erschlossene regionalsprachliche Forschungsliteratur ist größtenteils im Freihandbestand aufgestellt und umfasst neben historischen Orts- und Landschaftsgrammatiken, Dialektwörterbüchern, aktueller und historischer  Literatur zur Dialektologie, Variationslinguistik und Dialektgeographie auch einschlägige Periodika und Zeitschriften.

Tondokumente
Das Tonarchiv umfasst ca. 6000 Tonaufnahmen deutscher Dialekte. Diese reichen historisch bis in die Anfänge der Tonaufzeichnung (Ende des 19. Jahrhunderts) zurück und liegen auf verschiedenen Datenträgern vor (z.  B. Schellackplatte, Tonband, Audiokassette).
Große Teile der Sprachaufnahmen wie etwa alle Wenkersatz-Übersetzungen aus verschiedenen Korpora (z.B. Mittelrheinischer Sprachatlas, Preußisches Wörterbuch) sind online frei verfügbar. Die analog vorliegenden Tonaufnahmen werden kontinuierlich systematisch erschlossen und digitalisiert.

Sprachatlanten und Erhebungsmaterialien
Einen Kernbestand der Sammlung bilden Sprachatlanten und ihre Erhebungsmaterialien.
So umfasst die Sammlung mit den 1.668 handgezeichneten Teilkarten das erste vollständige Exemplar des "Sprachatlas des Deutschen Reichs" von Georg Wenker (das zweite Exemplar befindet sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin) sowie die ca. 50.000 dazugehörigen Erhebungsbogen.
Bei diesem weltweit einzigartigen Material handelt es sich um eine flächendeckende Dokumentation der deutschen Dialekte im ausgehenden 19./beginnenden 20. Jahrhundert.

Ein weiterer historisch einmaliger Bestand stellt auch der von Georg Wenker handgezeichnete "Sprachatlas der Rhein-Provinz nördlich der Mosel und des Kreises Siegen" dar. Dieser Atlas von 1878 kann als Beginn der wissenschaftlichen Sprachkartographie gelten.

Weitere ca. 50.000 historische Dialektdokumentationen liegen etwa mit den mehrseitigen  Erhebungsformularen für den "Deutschen Wortatlas" vor.
Neben den historischen Sprachkarten, Sprachatlanten und Erhebungsmaterialien umfasst die Sammlung zahlreiche moderne Sprachatlanten des Deutschen  sowie anderer Sprachen.

Wenkersätze


1. Die Wenker-Fragebogen
Die Wenkerbogen stellen die Datengrundlage für  Georg Wenkers Sprachatlanten dar, mit denen die einzelnen Lokaldialekte  in den Jahren 1876 bis 1887 erhoben wurden. Die Daten wurden per  indirekter Erhebung gewonnen, indem Wenker seine Fragebogen an Schulen verschickte, um sie dort von lokalen Gewährspersonen ausfüllen zu  lassen. Wie aus dem an die Lehrer adressierten Anschreiben hervorgeht, bestand die Aufgabe darin, vorformulierte hochsprachliche Sätze mit den durch das "allgemein gebräuchliche Alphabet" zur Verfügung gestellten Mitteln in den jeweiligen Ortsdialekt zu übertragen. Die Sätze waren so  zusammengestellt, dass typische lautliche und ausgewählte grammatische Eigenschaften der betreffenden Dialekte in der Übersetzung hervortreten mussten. Wurde beispielsweise im Fragebogen das Wort "Äpfelchen"  vorgegeben, so war zu erwarten, dass in Gebieten, in denen sprachhistorisch der Plosiv /p/ nicht zur Affrikate /pf/ verschoben wurde, die Schüler eine Form mit inlautendem /p/ schreiben würden. In der Summe solcher Dialektmerkmale sollten sich einzelne Sprachlandschaften voneinander abgrenzen lassen, so hatte Wenker vermutet.

2. Entwicklung und Datenerhebungsphasen der Fragebogen
Die  Erhebung wurde in verschiedenen Etappen mit unterschiedlichen  Fragebogen durchgeführt. Den Anfang bildete Wenkers Untersuchung in der  näheren und weiteren Umgebung seiner Heimatstadt Düsseldorf im Jahr  1876. Der Fragebogen dieser ersten Erhebung umfasst 42 Sätze  ("rheinische Sätze").
Nach dem  erfolgversprechenden Beginn des Unternehmens wurde der Plan gefasst, ganz Westfalen zu erheben, wofür unter Aufgabe spezifischer Phänomene  des zuvor relativ kleinräumigen Untersuchungsgebietes ein Bogen mit 38  Sätzen konzipiert wurde ("westfälische Sätze"). Diese Erhebung fand 1877  statt. In einer weiteren Ausdehnung des Untersuchungsgebietes sollte nun ganz Preußen erhoben werden. Auf Betreiben der preußischen Akademie  der Wissenschaften wurde dieser Plan allerdings aufgegeben und ganz  Nord- und Mitteldeutschland zum Erhebungsgebiet erklärt. Hierfür wurde  wiederum ein Bogen mit 40 Sätzen entworfen ("Wenkersätze" im eigentlichen Sinne). Gegenüber dem westfälischen Bogen wurden zwei Sätze hinzugefügt, die übrigen geringfügig überarbeitet. Die Erhebung dieses Großgebietes dauerte von 1879 bis 1880. Um die überregionale  Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, wurde dieser überarbeitete Fragebogen 1884 auch nochmals in das bereits sieben Jahre  zuvor – jedoch mit anderem Bogen – erhobene Rheinland gesandt.
Nachdem  das Sprachatlasunternehmen unter staatliche Leitung gestellt worden  war, sollte schließlich das Erhebungsgebiet um den gesamten süddeutschen  Raum erweitert werden. Für diese letzte Großerhebung blieben die Sätze  des Bogens von Nord- und Mitteldeutschland zwar unverändert, jedoch  wurden auf der Rückseite zusätzliche Stichwörter abgefragt wie z. B.  Wochentage oder einzelne Zahlwörter. Außerdem wurden die Lehrer im  Anschreiben erstmals angehalten, phonetische Besonderheiten - wie z. B.  Nasalierung oder offene vs. geschlossene /e/-Qualitäten - durch  vorgegebene Schreibkonventionen zu kennzeichnen. Die  Erhebung Süddeutschlands konnte 1887 durchgeführt werden.
Nach  Abschluss der Erhebungen lagen insgesamt 44.251 Fragebogen aus 40.736 Schulorten vor. Für die Gebiete außerhalb des Deutschen Reiches wurden  eigene Nacherhebungen vorgenommen. Vorbild dieser Explorationen war der  süddeutsche Fragebogen, der gegebenenfalls um einzelne Stichwörter  erweitert wurde. Die erste Nacherhebung wurde 1888 in Luxemburg durchgeführt (325 Bogen). Von 1926-1933 wurden erhoben: das  Sudetenland (2.854 Bogen), Österreich (3.628 Bogen), Liechtenstein (24  Bogen), das Burgenland (28 Bogen), das Gottscheerland (35 Bogen),  die Schweiz (1.785 Bogen), Polen jenseits der alten Reichsgrenze (396 Bogen), Südtirol (485 Bogen), die sieben und dreizehn Gemeinden der  zimbrischen Mundarten in Norditalien (20 Bogen), Nord- und Ostfriesland  (67 Bogen). Zusätzlich gingen 2.050 fremdsprachige Bogen ein (z.B. Jiddisch). Damit wurden insgesamt 51.480 Bogen aus 49.363  deutschsprachigen Orten erhoben. Darüber hinaus liegen inzwischen  Wenkerbogen aus weiteren deutschsprachigen Gebieten ausländischer Staaten – wie z. B. Russland – vor.
Süddeutschland: Als zusätzliche Lemmata wurden heiß, nein, blau, grau, hauen, Hand, Hanf, Helm, Flachs, er wächst, Besen, Pflaumen, Brief, Hof, jung, krumm, Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, elf, fünfzehn, sechzehn und fünfzig erhoben.  Außerdem wurden Nasalierung, geschlossenes vs. offenes /e/, apikales  vs. uvulares /r/, stimmhaftes vs. stimmloses /s/, Lenis vs. Fortis und dialektale Aussprache des Ortsnamens abgefragt.
Luxemburg: Hier wurden Norden,  irden, morden, Vorderbein, mit seinen Pferden, Herde, Hirten, Gürtel,  Karten, die harten Wörter, Gartenbohne, Kraft, Luft, stiften, Hintergeschirr (vom Pferde) und du haust als zusätzliche Lemmata abgefragt. Die Lemmata Brief und Hof fielen weg.
Schweiz: Für die Erhebung der Schweiz wurde der süddeutsche Bogen um das Lemma Kartoffel ergänzt

3. Digitalisierung
Die  historischen Wenkerbogen, die die Datengrundlage für Georg Wenkers  "Sprachatlas des Deutschen Reichs" bilden, sind stark vom Verfall  bedroht. Trotz sorgfältiger Lagerung im Archiv des Forschungszentrums  Deutscher Sprachatlas sind die Erhebungsbogen einem ständigen Schadprozess ausgesetzt, der durch die Qualität des säurehaltigen Papiers und der Tinte auf Eisenverbindungsbasis sowie durch die häufige  Benutzung bedingt ist. Der Zustand der Bogen wird vor allem an den meist  stark beschädigten Seitenrändern deutlich.
In einem aufwändigen Prozess wurden die Formulare mit einer optischen  Auflösung von 400 dpi digitalisiert. Die Bogen können sowohl über  verschiedene Recherche-Funktionen im REDE-SprachGIS als auch über den Wenkerbogen-Katalog eingesehen werden.

4. Literatur
Eine detaillierte Übersicht über Georg Wenkers Erhebungen bietet:
Fleischer,  Jürg (2017): Geschichte, Anlage und Durchführung der  Fragebogen-Erhebungen von Georg Wenkers 40 Sätzen: Dokumentation,  Entdeckungen und Neubewertungen. Hildesheim/Zürich/New York: Olms. (Deutsche Dialektgeographie. 123) 201 S.

Eine  vollständige Edition Georg Wenkers Schriften zum "Sprachatlas des Deutschen Reichs" sowie ein systematisches Register aller berücksichtigten Sprachphänomene liegt mit dem folgenden dreibändigen Werk vor:

Lameli, Alfred (2014): Erläuterungen und Erschließungsmittel zu Georg Wenkers Schriften. Unter Mitarbeit von Johanna Heil und Constanze Wellendorf. Hildesheim/New York/Zürich: Olms. (Deutsche Dialektgeographie. 111.3) 310 S.

Georg Wenker (2013): Schriften zum "Sprachatlas des Deutschen Reichs". Gesamtausgabe. Band 1: Handschriften: Allgemeine Texte, Kartenkommentare 1889–1897. Herausgegeben und bearbeitet von Alfred Lameli. Unter Mitarbeit von Johanna Heil und Constanze Wellendorf. Hildesheim/New York/Zürich: Olms. (Deutsche Dialektgeographie. 111.1) 466 S.

Georg Wenker (2013): Schriften zum "Sprachatlas des Deutschen Reichs". Gesamtausgabe. Band 2: Handschriften: Kartenkommentare 1898–1911; Druckschriften: Veröffentlichungen 1877–1895. Herausgegeben und bearbeitet von
Alfred Lameli. Unter Mitarbeit von Johanna Heil und Constanze Wellendorf. Hildesheim/New York/Zürich: Olms. (Deutsche Dialektgeographie. 111.2)  510 S.

Aufsätze
  Lars Erik Zeige, Philipp Krämer
Stammbaum, Sprachatlas, Linguistic Landscape.
Sprachwissenschaftliche Darstellungsmittel für Sprachräume und Sprechergemeinschaften

Presse
  FAZ - Aktualisiert:
Ein bunter Atlas für die deutsche Sprache   
Joachim Herrgen schaut den Menschen  sozusagen berufsbedingt aufs Maul. Er arbeitet am Forschungszentrum  Deutscher Sprachatlas an der Uni Marburg und erforscht den sprachlichen  Wandel.

  Anm.: Die mit diesem Icon gekennzeichneten Aufsätze und Artikel befinden sich im Archiv des Historischen Vereins Wegberg.

 

Historischer Verein Wegberg e.V. - 09.09.2021 - Letzte Änderung: 19.11.2023

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