Historischer Verein Wegberg e.V.

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Panorama-Aufnahme Wegberg mit Burg Wegberg, Forum, Wegberger Mühle, Rathaus und Pfarrkirche St. Peter & Paul, Foto: Heinen
Vortragsreihe zur Ortsgeschichte
im Rahmen eines RSN-Netzwerk-Treffens
beim Historischen Verein Wegberg
mit einem Gastvortrag von Dr. Ragdy van der Hoek
Veran-
staltungen

2023

Weshalb sind unsere Nachbarn
(manchmal) etwas anders?
 
Eine Nachlese von Maria Tannhäuser

Auf Initiative des RSN-HV-Netzwerk-Moderators Leo Gerigk und des Historischen Vereins Wegberg hielt Dr. Ragdy van der Hoek aus Venlo in der Wegberger Mühle am 9.2.2023 einen Vortrag über unsere Beziehung zu den niederländischen Nachbarn.

Die Schwerpunkte seines Vortrages ergaben sich durch folgende Fragen:
  • Wie sind die Grenzen entstanden?
  • Was sind die Unterschiede?

Horistoriker Ragdy van der Hoek aus Venlo bei der Präsentation seines Biches "Over de Grens / Über die Grenze"
Cover des Buches "Over de grens / Über die Grenze"

Die Grenzen
Grenzen sind Trennlinien. Sie suggerieren: Hier fängt etwas anderes an.

Im 18. Jahrhundert glichen die Gebiete in unserer Region einem Flickenteppich. Durch Wegberg verlief die Grenze zwischen dem Herzogtum Geldern und dem Herzogtum Jülich. Bereits im 16. Jh. hatten sich große Teile der Niederlande von Spanien getrennt. Aber das sog. Oberquartier Geldern, zu dem neben Wegberg, Erkelenz auch Roermond und Venlo gehörten, wurde weiter von Spanien aus verwaltet. Nach dem Erlöschen der spanischen Linie des Hauses Habsburg wurde der spanische Erbfolgekrieg 1713 mit dem Frieden von Utrecht beendet. Einige Teile des Oberquartiers Geldern erhielt dann der König von Preußen, Venlo kam zu den Niederlanden, Roermond und z.B. der geldrische Teil von Wegberg wurden den Habsburgern in Wien zugesprochen.

Wegberg in einem Kartenauschnitt von 1801. Im Departement Niedermaas (rot umrandet) liegen der frühere geldrische Teil Wegbergs sowie Uevekoven, Gerichausen, Watern, Bissen, Klinkum, Harbeck und Rickelrath, im Departement Roer (gelb umrahmt) der frühere jülichsche Teil Wegberg sowie Dorp und Tüschenbroich. (Archiv Historischer Verein Wegberg)
Nicht nur der gemeinsame Herrscher, auch eine gemeinsame Sprache verband damals die noch geldrischen Gebiete. In Wegberg z.B. gab es zwei Gemeinderäte und zwei Bürgermeister. Im Jülischchen Gemeinderat sprach und schrieb man Deutsch, im geldrischen Platdiets oder Plattdeutsch, ein Übergangsdialekt zwischen dem Niederländischen und dem Deutschen. Wie Dr. van der Hoek erklärte, sprach man in Tegelen, heute ein Stadtteil von Venlo, früher aber nicht zu Obergeldern gehörend, einen eher limburgisch-klevschen Dialekt, der sich stark vom Platdiets in Venlo unterschied.
 
Der geldrische Löwe kommt nicht nur in Wappen deutscher Städte wie z.B. Wegberg vor, sondern auch im Wappen von Venlo.

Wappen von Venlo

Mit dem Einmarsch der Franzosen am Ende des 18. Jahrhunderts verschwanden die Grenzen, alle wurden Franzosen.
 
Nach der Schlacht von Waterloo 1815 tagte der Kongress in  Wien. Die dort anwesenden Diplomaten suchten nach einer „balance of power“ und gründeten das Königreich der vereinigten Niederlande als Pufferstaat zwischen Frankreich und Preußen. Religionszugehörigkeiten spielten dabei keine Rolle, die betroffenen Menschen wurden nicht gefragt. Das Oberquartier Geldern wurde nun vollends aufgelöst. Ein Teil mit Roermond fiel an die Niederlande, der Rest fiel mit dem Rheinland an Preußen. Die Preußen brachten eine andere Kultur, eine andere Religion ins Rheinland. Sie erließen Sprachengesetze, alle sollten jetzt Deutsch sprechen. Die Priester durften keine Dialekte mehr sprechen.
1830 kam es in Belgien zu einer Revolution gegen die Niederlande, Das Königreich Belgien entstand, die Niederlande wurden kleiner. Mit dem Friedensvertrag zwischen Belgien und den Niederlanden musste Belgien definitiv auf die Gebiete verzichten, die heute unter dem Begriff „Niederländisch Limburg“ bekannt sind. Benannt wurden die neuen Provinzen Belgisch-Limburg und Niederländisch-Limburg nach dem historischen Herzogtum Limbourg, das so gut wie nichts mit den heutigen Provinzen zu tun hat. Kern des historischen Herzogtums Limbourg war das kleine Städtchen Limbourg an der Vesder in der heutigen Wallonie, nicht weit von Aachen.
 
Die Niederländer misstrauten den Limburgern zwar. Sie sprachen einen eher deutschen Dialekt, waren meist katholisch. Aber das wurde weniger unterdrückt als bei den Preußen.
Durch die drei Einigungskriege und die Ausrufung des Deutschen Reichs 1871 entwickelte sich in Deutschland eher ein nationaler Stolz als in den Niederlanden. Der Militarismus bekam auf deutscher Seite einen starken Einfluss. Man arbeitete zwarnoch oft zusammen, hatte noch Verwandte auf der anderen Seite der Grenze. Aber man wuchs langsam auseinander.
 
Kleine Risse in den deutsch-niederländischen Beziehungen entstanden während des Ersten Weltkrieges. Zwar blieben die Niederlande neutral, aber die Grenzen wurden geschlossen.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden beide Länder zu erklärten Feinden. Die Annäherung danach war schwierig und dauerte lange.
Die Niederländer wollten Reparationen für die erlittenen Schäden. Da Deutschland kein Geld hatte, forderten sie Grenzgebiete. Dabei wurde diskutiert, ob man die Gebiete mit oder ohne Deutsche übernehmen sollte. Von übernommenen Gebieten musste man eher befürchten, dass die Einwohner irgendwann einen Volksentscheid erzwingen würden, um zu ihrem Ursprungsland zurückkehren zu können.
Erst langsam wurden die Beziehungen besser durch
- Verwandtschaften
- Handel
- kulturellen Austausch
- Sportwettkämpfe, die allerdings oft nicht unproblematisch waren
- politische Regelungen.

In Erinnerung geblieben sind den Älteren aus dieser Zeit die berühmten Butterfahrten, der Kaffeeschmuggel. Durch das Schengener Abkommen, das freien uneingeschränkten Personenverkehr zwischen vielen europäischen Ländern gewährleistet, ist vieles anders geworden.

Die Unterschiede
 
  • Beispiel Verkehr
 
In Deutschland gibt es eine starke Autolobby, in den Niederlanden eher eine starke Fahrradfahrerlobby. Die Knöllchen fallen in Deutschland geringer aus als in den Niederlanden. In Deutschland gibt es kein allgemeines Tempolimit. Aufgepasst: In den Niederlanden neuerdings 100km/h (!) auf den Autobahnen.

  • Beispiel Politik
 
Niederlande: Ein Königreich, 16 verschiedene Parteien im Parlament, da es keine 5%-Hürde gibt. Das macht Koalitionsbildungen schwierig.
Deutschland: Eine Republik, 6 verschiedene Parteien im Parlament, 5-%-Hürde.


  • Sprache
 
Manche Wörter sind gleich, manche anders. Manche gleichen Wörter können eine unterschiedliche Bedeutung haben, z.B. satt: im Niederländischen „betrunken“.
In Deutschland galt/gilt Mundart oft als Bauernsprache. Das ist im niederländischen nicht so.
Die Tastatur beim Computer ist anders angeordnet.
Der Marienkäfer wird im Deutschen mit einem Frauennamen assoziiert, im Niederländischen mit einem männlichen Namen: lieveheersbeestje.
Schimpfen ist in Deutschland eher genderneutral, im Niederländischen stark sexualisiert und auch oft mit Krankheitsbegriffen verbunden.

  • Festtage
 
Die meisten Festtage sind in beiden Ländern christlichen Ursprungs. In den Niederlanden kommt der Königstag hinzu, in Deutschland der 1. Mai und der Tag der deutschen Einheit. In manchen Bundesländern gibt es noch zusätzliche Feiertage.

Sinterklaas und der Zwarte Piet spielen in den Niederlanden eine größere Rolle als in Deutschland. Obwohl die Niederlande ein calvinistisch reformiertes Land sind, haben sie mit den Bischofssymbolen des hl. Nikolaus keine Probleme.Am Abend vom 5. zum 6. Dezember feiern die Niederländer „pakjes avond“, dann gibt es auch Geschenke für Erwachsene. Nach Meinung des Sprechers hatte das Nikolausfest in unserer Gegend früher auch eine größere Bedeutung. Es wurde aber durch die Preußen marginalisiert, die einheitlich das Hauptfest zu Weihnachten haben wollten.

  • Bauen und Wohnen
 
Nach Meinung van der Hoeks bauen die Deutschen für die Ewigkeit, die Niederländer eher für 20 Jahre. Die deutschen Gebäude sind i.d.R. schwerer und größer. Das führt der Sprecher auf die deutschen Baugesetze zurück, die für das ganze Land gelten müssen. Dächer in Bayern z.B. müssen eine schwere Schneelast tragen können. Die Baugesetze werden aber für das ganze Land gleich gemacht. Also müssen alle starke Dächer bauen.
 
In Deutschland zeigen die Häuser i.d.R. nach vorne wenig Fenster. Das ist anders in den Niederlanden. Man muss in die Häuser reinschauen können. Gardinensteuer hat esin den Niederlanden übrigens nie gegeben, obwohl sich dieses Gerücht hartnäckig hält.
 
In Deutschland hat jedes Haus eine Hausnummer, in den Niederlanden jede Wohnung. In einem Wohnhaus mit 20 Wohnungen gibt es demzufolge 20 Hausnummern.

  • Einkaufen
 
Deutsche Läden müssen technisch-rationell aufgebaut sein, niederländische Läden sollen zum Kaufen verführen.
 
  • Esskultur
 
Einige typische deutsche Gerichte sind Knödel, Sauerbraten, Eisbein, einige typische niederländische Gerichte sind hutsepot, stroopwafel, pindakaas, bitterballen.
Bier wird in Deutschland mit einer Krone serviert, in den Niederlanden wird die Krone abgestrichen.
In Deutschland gibt es viele verschiedene Brotsorten, in den Niederlanden vorwiegend Weißbrot.
Fanta ist in den Niederlanden süßer und heller als in Deutschland.
Die Jägersoße von Knorr wird in beiden Ländern in einer ähnlichen Verpackung angeboten, ist aber total verschieden. In Deutschland wird sie mit Rotwein gemacht, in den Niederlanden mit Weißwein. Auch die übrigen Zutaten sind sehr unterschiedlich.

  • Umgangsformen
 
Ob man in den Niederlanden jemanden mit Jij oder U anspricht, bedeutet nicht viel. In Deutschland kann es etwas dauern, bis man jemandem das Du anbietet. Dazu gehört ein gewisses Vertrauen. Das führt der Sprecher auf die durch die RAF organisierten Terroranschläge in den 70er Jahren zurück. Dadurch blieb seiner Meinung nach der Respekt wichtig.
 
  • Arbeitskultur
 
Deutsche gehen bei der Arbeit einen anderen Weg als Niederländer. Sie entwickeln einen Plan und arbeiten den in einer strengen Hierarchie ab. Niederländer beginnen ohne Plan und arbeiten sich durch Versuch und Irrtum zum Ziel. Beides geht nach Meinung van der Hoeks gleich schnell.
 
  • Humor
 
In den 50er Jahren war der Humor in beiden Ländern fast gleich. Von den 60er Jahren an wurde der Humor in den Niederlanden bissiger. In den Niederlanden gibt es beim Humor kaum Tabus. Man darf über alles Witze machen, außer über den Islam, was der Sprecher bedauert. Aber es ist zu gefährlich. In Deutschland blieb der Humor lange brav. Der Sprecher führt als Beispiel Rudi Carrell an. Inzwischen wird der Humor aber auch hier böser (s. Böhmermann).
 
  • Risikovermeidung
 
Die Niederländer sind als Handelsvolk risikofreudiger als die Deutschen, die alles schriftlich fixieren wollen und auch weniger Mut beim Gebrauch von fremden Sprachen haben.

Historischer Verein Wegberg e.V. - 09.02.2023 - Letzte Änderung: 22.02.2023

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