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Geschichte der Gemeinde Wegberg

- III. Sitten und Gebräuche


Ebenso hat sich Adolf Vollmer in seiner Geschichte der Gemeinde Wegberg ausführlich mit den Sitten und Gebräuchen in der Gemeinde Wegberg beschäftigt.


Auszug aus: Adolf Vollmer (1912) Geschichte der Gemeinde Wegberg, S. 64 ff..
Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit und im Besonderen zur Wiedergabe auf mobilen Endgeräten wurden an einigen wenigen Stellen Änderungen in der Darstellung vorgenommen. Die Hervorhebungen zum besseren Auffinden von Namen und Daten befinden sich nicht im Original.


1. Das Schenkelmännchen.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (1791 oder 1792) wurde während des Umzuges der Patronats-Prozession am Feste St. Peter und Paul das sog. Schenkelmännchen geschossen. Näheres siehe darüber bei „Kirchliches“.


2. Gänsereiten.

In den Akten des Anfangs des 19. Jahrhunderts findet sich noch das an den Fastnachtstagen stattfindende „Gänsereiten“ erwähnt, welches wegen der damit verbundenen Tierquälerei durch die Kreispolizei-Direktion zu Crefeld am 20. Februar 1816 untersagt wurde. Bei diesem Gebrauch wurde eine Gans lebend an einen Baum oder Pfosten aufgehängt. Die jungen Burschen ritten nun in schnellster Gangart zu Pferde daran vorbei und versuchten, mit einem Knüppel der Gans den Kopf abzuschlagen. Gelang das, so fiel dem Burschen die Gans zu.
 
Am 26. Februar 1825 baten die hiesigen jungen Leute „nach altem Brauch die Gans reiten zu dürfen“. Sie versprachen dafür an die Armen zu zahlen, in den Dörfern nicht zu galoppieren und die Gans vorher im Beisein des Bürgermeisters abzuschlachten. Sie wurden jedoch ablehnend beschieden.


3. St. Martinsfest.

Wie am ganzen Rhein, so ist auch hier von jeher der St. Martinstag (10. November) ein Freudentag für die Kinder gewesen. Während aber anderwärts vielfach der ursprüngliche Brauch der Veranstaltung eines großen St. Martinsfeuers durch Fackelumzüge verdrängt wurde, ist hier das Fest noch in seinen ursprünglichen Formen geblieben.

Einige Wochen vor dem Feste beginnen die Jungens Holz zum Feuer zusammenzuholen. Ginster, wertloses Strauchwerk, unnütz herumliegendes Holz werden an bestimmtem Platze aufgeschichtet. Abends ziehen die Jungens mit Karren durch die Ortschaft, erbitten unter Absingung des Liedchens
He wohnt ene rieke Mann,
De os get geve kann,
Göv he os nix, dann dogt et net,
Göv he os get, dann es et got.
Sint Mäet.
an jedem Hause Holz oder einen Geldbeitrag zu den Kosten. Erhalten sie nichts, so singen sie mehr drastisch als schön:
Dat Huus, dat steht op eene Penn,
De Gizhals de wohnt meddedren.
 
Die Jungen jeder Ortschaft wachen eifersüchtig darüber, daß kein Fremder an ihrem Feuer teilnimmt und daß nicht etwa von Jungen anderer Ortschaften ihnen Holz fortgeholt wird. Im Hauptorte Wegberg scheiden sich sogar die Jungen in „Jülicher“ und „Spanier“, je nachdem sie in dem früher jülicher oder spanischen Anteil wohnen. Um das zusammengeholte Holz entbrennen oft heftige Kämpfe unter den „Jülichern“ und „Spaniern“, ja beide Parteien stellten sogar zeitweise an ihren Holzstößen Nachtposten aus.

Ist der Martinsabend gekommen, so wird der Holzstoß im Beisein der Jugend angezündet. Für das eingesammelte Geld sind Süßigkeiten, Wurst, Brödchen und dgl. gekauft, die die Jungen nunmehr untereinander verteilen und verzehren. Später trachtet jeder danach, mit angekohlten Holzstücken seinen Nachbarn anzuschwärzen. Langsam sinkt die Nacht hernieder und ein Teilnehmer nach dem andern verschwindet von der Stätte der Jugendfreude.

Das Martinsfest ist zurückzuführen auf die erste Zeit der Einführung des Christentums bei den Germanen, in der man bestrebt war, die alten heidnischen Feste durch solche christlichen Charakters zu ersetzen. So trat auch an Stelle des alten heidnischen Wotansfestes mit seinen Freudenfeuern das St. Martinsfest.


4. St. Nikolausfest.

Ebenso wie das St. Martinsfest ist auch St. Nikolaus der Freudenbringer für die Kinder. Die Weihnachtsbescherung hat nur wenig Eingang gefunden. Schon wochenlang vor dem Feste (6. Dezember) befleißigen sich große und kleine Kinder einer guten Führung, damit sie vom heiligen Mann nicht gestraft werden. Die Kleinen singen plattdeutsch, mit hochdeutsch untermischt:
 
„Sinter Klos, de helige Mann
Hät die beste Box wohl an
Do geht hä met no Spanie
Kauft Nüsse und Kastanie
Bringt den kleinen Kindern was mit
Die großen läßt er laufen
Die können sich ja was kaufen“
oder aber das bekannte Nikolauslied, dessen erste Strophe lautet:
„Gleich geht unsere Schule aus,
Dann gehn wir vergnügt nach Haus,
Lustig, lustig trallerallera,
Nun ist Nikolaus Abendtag“.


5. Heringsschürgen.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde noch das „Heringsschürgen“ (Heringsfahren) ausgeübt und zwar als Zeichen der beginnenden Fastenzeit und der Herrschaft des Fisches.

Am Aschermittwoch nach genossenen Fastnachtsfreuden, welche letzteren sich hier auf kleinere Umzüge von maskierten und in einfachster Weise kostümierten Personen, sowie Tanzbelustigungen beschränkten, wurde an einer Schnur ein Hering aufgeknüpft. Ein Bursche setzte sich nunmehr auf das Kopfbrett einer Schiebekarre und wurde von einem anderen unter der Schnur durchgefahren, wobei der erstere versuchen mußte, ohne Zuhilfenahme der Hände mit dem Munde den Hering zu ergreifen. Gelang ihm das, so wurde der Hering sein Eigentum, im anderen Falle wurde er ausgelacht und von jemand anderem abgelöst.


6. Tauf-, Hochzeits- und Begräbnisbräuche.


Nachbarschaften.

Hierbei spielt die sog. „Nachbarschaft“ eine große Rolle. Die Nachbarschaft umfaßt in der Regel die Bewohner von je 7 Häusern zur Rechten und zur Linken eines Hauses. Diese Nachbarschaft nimmt an den Freuden und Leiden der einzelnen Haushaltungen besonderen Anteil, wie denn auch auf dem Lande die wechselseitige Hülfsleistung viel ausgeprägter ist und sein muß wie in der Stadt, wo die Menschen sich viel fremder gegenüberstehen und die sozialen Unterschiede schärfer ausgeprägt sind. Aber auch in Wegberg vollzieht sich schon eine Abwendung von den alten Sitten und Gebräuchen. Bei Geburtsfällen war es noch bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts Brauch, daß am Tauftage den Frauen der Nachbarschaft ½ Pfd. Honigkuchen (Pfefferkuchen) ins Haus gebracht wurde. Noch heute begleitet die erste Nachbarin zur Rechten und zur Linken die Wöchnerin auf ihrem ersten Ausgang zur Kirche – gewöhnlich 6 Wochen nach der Geburt – und sie nehmen dann an dem darauffolgenden Kaffee im Hause teil.
 
Bei den Heiraten beschränkt sich die Teilnahme der Nachbarschaft meistens auf die Schmückung des Hochzeitshauses durch Laub und Blumengewinde, Kränze, Sinnsprüche und dergl., wofür der Nachbarschaft später ein Kaffee gegeben wird.
 
Das früher allgemein übliche Schießen am Vorabend der Hochzeit und dem Hochzeitstage selbst ist glücklicherweise durch scharfes polizeiliches Einschreiten beseitigt worden.

Bei Sterbefällen ist die Nachbarschaft stärker beteiligt. Von der Rechten und Linken müssen die Nachbarn Nr. 1 und 2 für die Formalitäten (Anmeldung bei Standesamt, Pfarramt, Benachrichtigung der Verwandten und Bekannten, Waschen und Einkleidung der Leiche und dergl.) sorgen, überhaupt den Hinterbliebenen zur Seite stehen. Die Nachbarn Nr. 3, 4 und 5 tragen die Leiche zum Friedhof bezw. zum Leichenwagen, Nr. 5 und 6 besorgen das Totenläuten. Früher hielt die Nachbarschaft im Sterbehause auch eine Totenwache, bei welcher mit Pausen gebetet wurde. In den Pausen wurde sich durch einen Trunk gestärkt, geraucht u. s. w.

Wegen der dabei hervorgetretenen Übelstände wurde in neuerer Zeit die Totenwache jedoch abgeschafft und statt dessen an den Tagen bis zum Begräbnis eine abendliche Betstunde eingerichtet, an welcher die erwachsenen Personen der Nachbarschaft teilnehmen. Im Orte Wegberg findet diese Betstunde seit einigen Jahren in der Kirche statt.


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Geschichte der Gemeinde Wegberg


Historischer Verein Wegberg e.V. - 19.10.2019 - Letzte Änderung: 27.11.2021

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